Alles wird gut – Ein Porträt des Straßenmusikers Rob Longstaff

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Leicht zu finden: Rob Longstaff liefert den Soundtrack zum Samstagsmarkt am Boxi (Foto: Nisha Merit)

Downshifter, Aussteiger, Teilzeitler: Alle sind auf der Suche nach dem „guten Leben“. Der Musiker Rob Longstaff hat es auf der Straße gefunden

Ein Herr Mitte fünfzig, mit grauen Haaren, randloser Brille und Jack-Wolfskin-Jacke, steht am Boxhagener Platz in Berlin und sagt: „Ich bin Bankkaufmann, ein konservativer Mensch, aber ich wäre lieber so wie er“. Dabei zeigt er auf einen Mann im abgetragenen Anzug, dessen Gesicht von einem zehn-Tage-Bart eingerahmt wird. In der Hand hält er eine Gitarre.

Der Mann mit der Gitarre steht auf einem alten Perserteppich, vor ihm ein abgewetzter Lederkoffer, darauf in weißer Schrift sein Name: „Rob Longstaff“. Rob Longstaff ist jeden Samstag hier und mit jedem Song, den er spielt, wird es enger vor seiner roten Teppichbühne. Es ist Markttag und der Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen, der von einer mobilen Kaffeebar herüberweht, mischt sich mit dem Marsala-Aroma vom Gewürzstand gegenüber. Eine Gruppe junger Spanier nimmt ein spätes Frühstück ein, auf den Pfützen haben sich vom Novemberregen kleine Schauminseln gebildet.

Rob Longstaff

„Highly motivated quitter“: Rob Longstaff kämpft gegen die Leistungsgesellschaft und den inneren Schweinehund  (Foto: Nisha Merit)

Rob Longstaff spielt gerade einen Blues. Dabei stellt er sein linkes Bein aus, kneift die Augen zusammen und treibt die Akkorde mit hartem Anschlag voran. Die meisten Lieder sind von ihm, Coversongs macht er durch seine warme Soulstimme zu seinen eigenen. Ein kleines Mädchen hört ihm zu aber zieht die Mundwinkel nach unten. Er spielt „You are my sunshine“ von Johnny Cash und freut sich, als sie endlich lächelt. Inzwischen ist es so eng geworden, dass die Kunden nicht mehr zu den Marktständen kommen und Longstaff eine Pause machen muss. Ein Obdachloser kommt vorbei und bittet den „Kapellmeister“ um eine Spende für ein halbes Hähnchen. Longstaff gibt ihm eine der vielen 2-Euro-Münzen aus seinem Koffer und sagt: „Dieser Typ ist auch ein Profi, wie ich.“

Was Longstaff damit meint, ist dass er unter den Straßenmusikern Berlins eine Berühmtheit ist. An einem Tag wie diesem verdient er 240 Euro, manchmal mehr, manchmal weniger. Das macht er zwei bis drei Mal die Woche. Auch einen Vertrag bei einem kleinen Plattenlabel hat er inzwischen, es läuft gut. Das war nicht immer so. Bevor er vor zehn Jahren nach Berlin kam, ging er in Australien auch mal Tomaten pflücken. Heute ist er froh, dass er das nicht mehr machen muss.

Rob Longstaff

Rob Longstaffs Musik bewegt sich irgendwo zwischen Soul, Blues und Folk (Foto: Nisha Merit)

Was Longstaff mit „Profi“ aber auch meinen könnte, ist, dass man selten jemanden trifft, der sein Leben so „professionell“ anders lebt, als der Rest der Burn-Out-geplagten Leistungsgesellschaft. Denn Longstaff, der in Neuseeland und Australien bei einer exzentrischen Mutter und ohne Vater aufwuchs, ist einer, der nicht lange nachdenkt, sondern einfach macht. In dem 33-jährigen Mann schlägt das Optimistenherz eines zwölfjährigen Jungen – das sagt er zumindest über sich selbst und fügt hinzu: „Mein Rat an jedes Kind: Werde nicht erwachsen“. Denn erwachsen werden, sagt er, hieße für viele das Spiel namens „Wer hat am meisten?“ zu spielen, anstatt wie er einfach mit dem Fahrrad von Berlin nach China zu fahren, mit einem Solarboot auf Tournee zu gehen und Flüge zu boykottieren.

Kein Huckleberry Fin der Großstadt

„Der ist ein freier Mensch, das glaube ich schon“, findet die Frau des Bankkaufmanns. Inspirierend sei das, wie er da so steht mit seiner Gitarre, die von Klebeband zusammengehalten wird und mit Unterschriften aus aller Welt vollgeschrieben ist. Rob Longstaff sieht das anders. Auf seinen Reisen habe er erfahren, dass er auch nicht freier ist als andere: „Ich fühle mich durch Pässe und Grenzen versklavt. Aber vielleicht weißt du erst dann, was Freiheit ist, wenn du ohne Reisepass die russische Grenze überquerst und verhaftet wirst, weil dir ein Blatt Papier fehlt.“

Rob Longstaff

C.R.E.A.M.: Nicht jeder Straßenmusiker kann von seiner Kunst leben (Foto: Nisha Merit)

Der Huckleberry Fin der Großsstadt, den Menschen wie die Bankiersgattin in ihm sehen, ist Longstaff also nicht und will es auch nicht sein. Als er erzählt, dass sich in seinem Wohnwagen der Papierkram stapelt und er ständig an alltäglichen Dingen scheitert, ja nicht mal einen Fahrradschlauch flicken kann, wirkt es beinahe so, als wolle er sein Image entzaubern. Er sei gar nicht so dogmatisch, sondern hin- und hergerissen zwischen Idealismus und Bequemlichkeit, betont er. „Super-Hippie“ und „Earthfucker“ nennt er diese beiden Pole und weiß auch dazu eine passende Geschichte zu erzählen: Als er sich noch an sein selbst auferlegtes Flugverbot hielt, blieb ihm einmal keine andere Wahl, als mit der Queen Mary Two nach New York zu reisen. Das sei zwar billiger gewesen, als auf einem Frachter mitzufahren, aber genauso schlecht für die Umwelt wie ein Flug. „Insgeheim genieße ich es, ein ‚Earthfucker‘ zu sein, aber hoffentlich ändert sich das bald,“ sagt er, klappt seinen Gitarrenkoffer zu und verabschiedet sich.

Einfach mal machen

Die Glücksritter aus aller Welt, die auf der Suche nach Freiheit nach Berlin kommen, landen oft an Orten wie dem Lagari. Die Wände der Neuköllner Kneipe sind mit Konzertplakaten tapeziert, auf Sperrmülltischen stehen Kerzen, die den Raum in ein schummriges Licht tauchen. Es riecht nach Pommes, die ein junger Typ im Akkord aus der Küche balanciert. Die kleine Bühne am hinteren Ende des Raumes ist wie jeden Sonntagabend für alle geöffnet.

Eine australische Pianistin mit lauter Stimme verspielt sich und alle klatschen, ein Comedian aus Kanada erzählt von seinem Vibrator. Rob Longstaff, steht an der Bar und genießt es, dass er mal nicht im Mittelpunkt steht. Später in einer Ecke, möglichst weit weg von der Bühne, beugt er sich über den Tisch, bis die Kerze fast seinen Bart versengt und flüstert: „von mir wird immer erwartet, dass ich alle unterhalte und das ist anstrengend. Deshalb bin ich froh, wenn da jemand ist, der charismatischer und interessanter ist als ich.“

Inzwischen ist es spät geworden und draußen vor den angelaufenen Fenstern fallen erste Schneeflocken. Aus Longstaff, der viel lacht an diesem Abend, spricht eine Unbekümmertheit, die man naiv nennen könnte. Aber vielleicht braucht es ja Menschen wie ihn, die Menschen wie dem Bankkaufmann vom Boxhagener Platz Sätze sagen wie diesen: „Wenn du unglücklich bist, dann kauf ein Zelt und einen Rucksack, halte deinen Daumen raus und schau, wohin es geht.“

Von Tim Geyer

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Das Album Boogaloo bei itunes

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Wenn Tim nicht gerade hier ist, schreibt er für ein großes Hasen-Magazin, das natürlich hauptsächlich wegen der tollen Texte gelesen wird.

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