When I was 18… mit Stephan Szillus (#1)

Stephan Szillus by Murat Aslan

Die erste Ausgabe von “When I was 18″ mit Stephan Szillus (Foto: Murat Aslan)

Willkommen zu „When I was 18“, einer neuen Serie auf punkpoprap. Hier sprechen Musiker und musikaffine Menschen über drei Songs, die in der Zeit zwischen Jugend und Erwachsenwerden für sie wichtig waren. Die Premiere übernimmt Stephan Szillus. Als Mitgründer des Plattenlabels Heart Working Class fördert er junge Künstler wie Gerard und berät Marken wie Island Records/Universal Music und Red Bull. Als Chefredakteur war er außerdem für fünfeinhalb Jahre die treibende Kraft hinter JUICE, Europas größtem HipHop-Magazin.

„Als ich 18 war, war 1995. Einer der besten Rap-Jahrgänge in der Geschichte, wie ich finde. Wu-Tang, Mobb Deep, Bootcamp Clik: New York war King, ich im Abschlussjahrgang auf dem humanistischen Gymnasium im norddeutschen Hinterland. Wir fuhren Skateboard, versuchten uns als mittelmäßige Graffiti-Writer und pumpten HipHop, Drum & Bass und Dub. Deutscher Rap war zu dieser Zeit für uns prinzipiell nicht existent — harmlose Sozialkritik, holprige Polit-Styles und bierernstes Britcore-Schulenglisch schreckten uns ab. Das sollte sich ein bis zwei Jahre später dank gewisser Bands und Crews aus Hamburg, Stuttgart und Heidelberg ändern. Doch 1995 war die Welt noch in Ordnung: Rapmusik hatte gefälligst aus Amerika zu stammen, spannende Clubmusik kam aus England und in der Indie-Disco, in der wir jedes Wochenende abhingen, liefen ohnehin nur Beastie Boys und Smashing Pumpkins.“

01. Nine — »Whutcha Want«

„Kürzlich legte mein guter Freund Ndilyo Nimindé von der Red Bull Music Academy diesen Song auf einer Privatparty in einer Kreuzberger Souterrain-Bar auf. Plötzlich fühlte ich mich dort zwischen den Rauchschwaden für drei Minuten wieder wie 18. Was primär an diesem Song lag. Und daran, dass alle dazu tanzten, denn Ndilyo hatte den Song perfekt in eine Strecke aus lässigem New Yorker Rap&B und Westcoast-Underground-Rap aus dieser Ära eingeordnet. Reibeisenstimme, Tarnuniformen und boomende Jeep Beats von Rob Lewis aus der Bronx. Ein klassischer »Representer« (*Deutschrap-Blogger-Voice*). Ich weiß bis heute nicht, was mich in meinem Surfer-Kaff daran faszinierte. Vielleicht, dass der Song auf dem verdammten »Kids«-Soundtrack war. Wir alle wollten wie Telly und Casper sein.“

02. Goldie — »Inner City Life«

„Wir hielten uns für die Verfechter der reinen HipHop-Lehre, doch plötzlich spielten da auch Jungle, Drum & Bass und all das, was wir heute in der Nerd-Diskussion als britisches »Hardcore Continuum« bezeichnen, eine entscheidende Rolle. Als ich Goldies erstes Album hörte, wurde die vorher eher funktional verstandene Clubmusik, die ohnehin in keinem Kieler Club lief, zur Kopfhörermusik. »Inner City Life«, das erste Drittel der »Timeless«-Suite: Der beste Jungle-Song aller Zeiten. Melancholisch und empfindsam wie der ganze Indierock, den man bei den Freunden um die Ohren geballert bekam, dabei aber mit den Coolness-Codes der HipHop-Kultur umgesetzt. Goldies Pieces im Booklet, die wildstyle arrangierten Amen-Breakbeats, die Handtaschen-House-Stimme von Diane Charlemagne. Ganzkörpergänsehaut, immer noch.“

03. Dr. Israel w/ Loop — »Saidisyabruklinmon (Nobwoycyantess)«

„In Williamsburg werkelten lange prä Gentrifizierung ein paar echte Homeboys von der Straße an der Zusammenführung von HipHop-Beats, Dub-Ästhetik und apokalyptischen Klangwelten. Der kurzlebige, als »Illbient« bekannte Instrumental-Stil, der vor allem von DJ Spooky, DJ Olive und der Künstler-Blase um Bill Laswell entwickelt wurde, passte perfekt in unsere verkifften Dorf-Partykeller und alternativen Jugendzentren. Während die Dudes in Brooklyn starkes jamaikanisches Weed pafften, stopften wir unsere Wasserpfeifen mit einem Gemisch aus »Van Nelle«-Tabak und dunklem Haschisch. Dieser Song vom »Crooklyn Dub Consortium«-Sampler enthielt ein Vocalzitat von Guru und fixte uns damit genau wie die auf HipHop-Samples basierenden frühen Jungle-Tunes an. Wir fanden nicht mehr nur asozialen Hardcore-Rap geil, sondern auch den ganzen abgefahrenen Styler-Kunstscheiß von Mo‘ Wax, Ninja Tune und Wordsound. Die Initialzündung für meine Liebe zu instrumentaler Beat-Wissenschaft, die dank Brainfeeder und Burial bis heute anhält.“

Veröffentlicht von

Wenn Tim nicht gerade hier ist, schreibt er für ein großes Hasen-Magazin, das natürlich hauptsächlich wegen der tollen Texte gelesen wird.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

  1. Pingback: When I was 18… mit Captain Gips | punkpoprap

Schreibe einen Kommentar